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Prism ...

// 13. 08. 2013

Prism, XKeyscore, Tempora, NSA, GCHQ ... die Zahl der Abkürzungen von "Programmen" und Organisationen nimmt ständig zu. Was und wer auch immer damit gerade gemeint ist - ich möchte es als "Totalüberwachung" der elektronischen Kommunikation und des Internets bezeichnen.

Und es kotzt mich an. Ganz gewaltig.

Die Reaktionen in meinem Bekanntenkreis sind sehr unterschiedlich. "Habe ich schon immer gewusst" ist eine davon. "Alles doch nur im Rahmen der Gesetze" sagen andere (vor allem hochrangige Vertreter in meiner eigenen Partei). "Ist halt notwendig im Kampf gegen den Terror" ist ebenfalls weit verbreitet. Am schlimmsten finde ich jedoch die Einstellung "Betrifft mich nicht, ich mach' nix verbotenes".

Zur genaueren Einordnung des Geschehens möchte ich folgende Aspekte in den Vordergrund stellen.

Die Dimension

Um die Dimension der Überwachung zu veranschaulichen vergleichen wir die Internet-Totalüberwachung vielleicht mal mit der Stasi in der DDR. Die Stasi hatte 1989 ca. 91.000 offizielle und 173.000 inoffizielle Mitarbeiter. Damit war sie in der Lage, Dossiers über 16,675 Mio. Bürger der DDR (und anderer Staaten) anzulegen. Manchmal sehr ausführliche, manchmal nur kurze Vermerke. Aber trotzdem waren die Möglichkeiten der Stasi geradezu mickrig im Vergleich zu dem, was die Geheimdienste heute können. Vielleicht konnte die Stasi jedes Telefonat in der DDR (und zwischen der DDR und dem Ausland) abhören. Vielleicht war sie in der Lage, jeden Brief in der DDR unbemerkt zu öffnen und zu kopieren. Aber letztendlich war sie immer auf Analog-Technik angewiesen. Jedes Telefonat musste von einem Mitarbeiter mitgehört und analysiert werden. Jeder Brief musste gelesen und analysiert werden. Da war viel Belangloses dabei. Das kostete Zeit. Und Personal. Das limitierte die Möglichkeiten einer Totalüberwachung.

Ganz anders die Totalüberwachung des Internets. Alles ist digital. Telefonate, Emails, SMSs, Handy-Standorte, alles! Und alles ist abspeicherbar. Und elektronisch durchsuchbar. Und miteinander verknüpfbar. Nur begrenzt durch die Größe der Datacenter, die sich die Geheimdienste leisten. Und niemand kann dieser Maschinerie entgehen. Es sollen Zettabytes sein – einen Vergleich gibt's bei OpenDataCity.

Die Stasi musste immer wenigstens eine Art "Anfangsverdacht" gehabt haben, um eine Person überwachen zu lassen. Letztendlich waren ihre Ressourcen begrenzt (1 Stasi-Agent für 183 DDR-Bürger) und mussten daher vergleichsweise sparsam und zielgenau eingesetzt werden. Es konnten nicht alle 17 Millionen DDR-Bürger überwacht werden. Man konnte der Überwachung entgehen. Indem man sich unauffällig verhalten hat. Oder konspirativ. Oder durch Zufall.

Der Internet-Totalüberwachung kann man nicht entgehen. Sie ist total. Sie ist unbegrenzt. Da sie mit Algorithmen und Software-Agenten arbeitet, ist sie noch nicht mal durch die Anzahl der Geheimdienst-Mitarbeiter begrenzt.

Und das ist eine neue Dimension. Womit wir zum nächsten Punkt kommen.

False Positive

"Betrifft mich nicht, ich mach' nix verbotenes" habe ich auf die eine oder andere Weise in den letzten Wochen oft gehört. Das stimmt. Die Menschen in meinem Bekanntenkreis halten sich an Recht und Gesetz.

Was aber, wenn die Bewertung des eigenen Tuns nicht durch einen Menschen erfolgt, sondern durch einen Algorithmus und dieser Algorithmus fehlerhaft oder unvollständig ist?

Ich bin selbst Informatiker und ich weiß, dass keine Software fehlerfrei ist. Und daher gehe ich davon aus, dass komplexe Software-Systeme wie Prism oder Tempora extrem fehlerhaft sind. Oder aber einfach nur dämlich. Angeblich genügt es, einen von ca. 300 Begriffen aus einer Liste zu verwenden, um ins Visier der Filteralgorithmen zu kommen. Eine einfach Google-Suche nach "Dampfkochtopf" und "Rucksack" führt dazu, dass die Polizei vor dem Haus steht.

Wer nicht glaubt, dass das ein Problem werden kann, der schaue sich den dystopischen Film "Brazil" aus dem Jahr 1984 an. Dort ist es zum Problem geworden – und ich finde die Darstellung 30 Jahre später gar nicht so abwegig.

Internet-Totalüberwachung ist ein Problem.

Und leider schützen uns in der globalisierten Welt weder unsere deutschen noch sonstige Gesetze vor der Totalüberwachung.

Alles im Rahmen der Gesetze

Als es los ging mit den Veröffentlichungen, kamen sofort die ersten Stellungnahmen der Internet-Firmen. "Alles im Rahmen der Gesetze". Später gaben dann die einzelnen Geheimdienst-Organisationen bzw. die politischen Repräsentanten in den einzelnen Ländern Statements ab, wie "wir überwachen keine Bürger unseres Staates". Stimmt, die NSA überwacht keine Amerikaner, das GCHQ keine Briten und der BND keine Deutschen. Dafür überwacht wohl die NSA die Deutschen, der BND die Briten und das GCHQ die Amerikaner usw. Oder umgekehrt. Oder doch nicht. Oder aber total egal. Im Rahmen der geheimdienstlichen Zusammenarbeit werden die Daten nämlich zwischen den Diensten ausgetauscht. So kommt wohl jeder Dienst im Prinzip an alle Daten.

An dieser Stelle wird offensichtlich, dass nationalstaatliches Denken – vor allem, was die Reichweite der nationalen Gesetzgebung angeht – in eine neue Dimension von Krise geraten ist. Was nützt es mir, dass unser Grundgesetz mich als Deutscher in Deutschland schützt, wenn das es schon für Deutsche in England und erst Recht in den USA nicht mehr gilt. Dort sind ich bzw. meine Daten offensichtlich vogelfrei. Datenschutz? Scheiß drauf! Informationelle Selbstbestimmung? Gelächter!

Und der BND liest im Rahmen der Zusammenarbeit mit ... zu meiner eigenen Sicherheit. Damit kommen wir zum nächsten Aspekt.

Definition von Terrorismus und das Supergrundrecht "Sicherheit"

"Der Zweck heiligt die Mittel" sagt ein Sprichwort. In der Ausgestaltung unserer staatlichen Ordnung haben wir in Deutschland aber bewusst darauf verzichtet, "alle" Mittel zuzulassen. Folter ist z.B. verboten, auch wenn sie vielleicht manchmal die Polizei-Arbeit erleichtern würde.

Dann gibt es im Grundgesetz das Brief- bzw. Fernmelde-Geheimnis (Art. 10 GG). Dieses Grundrecht ist aber offensichtlich komplett ausgehöhlt. Diese Aushöhlung wird von unseren Politikern – allen voran Innenminister Friedrich von der CSU (leider dicht gefolgt vom Ex-Innenminister Schily, SPD) damit begründet, die öffentliche Sicherheit sei durch Terrorismus bedroht. Stichwort "Supergrundrecht".

Hört sich erst mal gut an. Wir werden vor Terroristen geschützt, vor Menschen jenen Denkens also, die am 11. September 2001 in den USA 3000 Leute ermordet haben. Und auch vor jenen – bis dato Unbekannten – die am 10. Dezember 2013 im Bonner Hauptbahnhof eine Kofferbombe platziert haben.

Aber wie ist hier das Preis-/Leistungs-Verhältnis? Wir – jeder von uns – sollen unsere komplette Privatsphäre opfern, um einem Terror-Anschlag zu entgehen? Die Wahrscheinlichkeit, einem Terror-Anschlag zum Opfer zu fallen, ist um ein vielfaches niedriger, als die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz getroffen zu werden. Gut, Blitze kann man nicht verbieten. Die Wahrscheinlichkeit, einem Terror-Anschlag zum Opfer zu fallen, ist aber auch signifikant niedriger, als die Wahrscheinlichkeit, im Straßenverkehr zu sterben. Sie ist sogar niedriger, als aus Versehen ermordet zu werden.

Könnte man daher - im statistischen Durchschnitt - die Sicherheit in unserem Land nicht einfach dadurch erhöhen, dass man mehr Tempolimits einführt? Oder einfach mehr Schutzpolizisten an Bahnhöfen oder sonstigen neuralgischen Punkten positioniert? Ich glaube schon. Und alles unter Beachtung der Grundrechte.

(Mehr Beispiele diskutiert übrigens Spiegel Online in diesem Artikel.)

Was sollen wir also tun?

Was sollen wir tun? Verschlüsseln, was das Zeug hält? Nein. Das Problem ist ein politisches Problem und muss politisch gelöst werden.

  1. Sprecht mit oder schreibt an jeden Politiker an, der euch wichtig ist. Ich hab's bei einigen meiner Partei getan (das Ergebnis war allerdings ernüchternd).
  2. Denkt drüber nach eine Partei zu wählen, die zumindest ansatzweise erkennen lässt, das Problem angehen zu wollen (leider scheint es so, als ob die etablierten – SPD, CDU, FDP, Grüne – nicht dazu gehören).
  3. Kündigt Eure Mitgliedschaften in diversen Online-Diensten. Vor allem in kostenpflichtigen, amerikanischen Cloud-Diensten. Ich habe die wage Hoffnung, dass die amerikanische Internet-Wirtschaft unter dem Druck sinkender Umsätze am ehesten Einfluss auf die Politik nehmen kann.

Weiterer Lesestoff

So, jetzt ist das hier viel länger geworden, als ich gedacht habe. Zu guter Letzt aber noch ein paar lesenswerte Artikel, die ich in der vergangenen Wochen gebookmarked habe:


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